Profil
Ideale und Ziele unserer Ausbildungen
Jeder Mensch ist einzigartig und besonders.
Damit sich Menschen entwickeln können, bedarf es vor allem eines: Zeit und Raum. Zeit und Raum für Spiel. Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Kein Sinn der Dinge oder Ereignisse ist vorgegeben. Aller Sinn muss tätig erschaffen oder gegeben werden. Waldorfpädagogik gibt es nicht – sie wird! Jeden Tag aufs Neue.
Der zeitgemäße Geburtshelfer dazu ist die Kunst.
Von der Erziehungswissenschaft zur Erziehungskunst, dies ist der angestrebte Weg aller Bereiche unserer Ausbildung. Studien des Denkens und Fühlens fließen ein in die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und ebenso mit Erwachsenen. Klassisch Künstlerisches, künstlerische Übungen, übende Auseinandersetzung mit sozialen Prozessen, Arbeit an Erde und Gestaltung der vom Menschen durchdrungenen Landschaft sind wesentliche Bildungsinhalte.
Das Denken, das Tun und die Kunst zu erlernen und miteinander in Schwingung bringen, ist unser Ziel. Wir streben an Entsprechungen zu stiften zwischen den Wissenschaften, der Religion und der Kunst.
Anthroposophie
- Anthroposophie ist eine Einladung zur Entdeckung des Menschen
- Anthroposophie setzt beim verstehenden Denken an.
- Anthroposophie orientiert sich wie die Naturwissenschaft an Tatsachen.
- Anthroposophie führt erweiterte Erkenntnisformen – Geist – ins Leben ein.
- Anthroposophie erweitert das Verständnis von Wissenschaft so, daß sie zu einer Antwort auf diese Fragen kommt, die nicht auf Offenbarung oder Glauben beruht, sondern auf Erkenntnis.
- Anthroposophie ist eine wissenschaftliche Erkenntnis des Menschen, die diesen nicht als bloß materielles Wesen betrachtet, dessen Existenz auf den kurzen Zeitraum zwischen Geburt und Tod eingegrenzt ist.
- Anthroposophie bezieht die Wirklichkeit der Gestaltungskräfte des Lebendigen, die Wirklichkeit der Seele und des Geistes in die menschlichen Erkenntnisbemühungen ein und kommt auf diese Weise zu einem ganzheitlichen Menschen- und Weltbild, das die Sinnfrage nicht ausklammert, sondern zur zentralen Angelegenheit erhebt.
Rudolf Steiner
von Walter Kugler
Rudolf Steiner war Goetheforscher und einer der besten Nietzsche-Kenner seiner Zeit. Im Anschluss an sein Studium der Naturwissenschaften an der Wiener Technischen Hochschule bearbeitete er Goethes naturwissenschaftliche Schriften für die Küschner- und später für die große Weimarer Sophien-Ausgabe. Er war Herausgeber einer Schopenhauer-, Wieland-, Uhland-, und Jean-Paul-Ausgabe und Autor mehrerer philosophischer Werke. Er war Redakteur einer Literaturzeitschrift in Berlin, unterrichtete sechs Jahre an der von Wilhelm Liebknecht begründeten Arbeiterbildungsschule und war eine Zeit lang Generalsekretär der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, gründete 1912 die Anthroposophische Gesellschaft und titelte seine geisteswissenschaftlichen Forschungen mit dem schon von Fichte und Schelling verschiedentlich umkreisten Begriff „Anthroposophie“. In Dornach bei Basel entstand nach seinen Entwürfen und unter seiner Leitung ein Ensemble von mehr als zehn Wohn- und Zweckbauten, worunter das Goetheanum zu den bedeutendsten Bauwerken des zwanzigsten Jahrhunderts zählt.
Nach dem Ersten Weltkrieg unterstützte er die Betriebsrätebewegung, begründete die Waldorfschule und setzte seine Vortragstätigkeit fort: über Kosmologie, Philosophie, Tod und Geburt, aber auch Landwirtschaft, Nationalökonomie, Pädagogik und Medizin. Und er skizzierte damit Wegbeschreibungen, deren Gestus sich weder einem sich allem und jedem anpassenden Hinunter beugte und auch kein verklärendes Hinauf behauptete, sondern ein ständiges Dazwischen-Sein, zwischen Geist und Materie, Idee und Erfahrung, Egoismus und Altruismus provozierte. Seine stets frei gehaltenen Vorträge – insgesamt mehr als 5000 – waren ein Kulturereignis: in Berlin, München, Helsinki, Paris, und Prag. Kafka und Max Brod haben ihn gehört, Kandinsky, Morgenstern, Tucholsky, Rosa Luxemburg und dann noch die vielen, von den Chronisten unerwähnt Gebliebenen, aber nichtsdestominder den Zeitverlauf Prägenden: Ärzte und Pfarrer, Arbeiter und Studenten, Lehrer und Landwirte.
aus: Walter Kugler: „Feindbild Steiner“; Verlag Freies Geistesleben
Erziehungskunst
Von der Erziehungswissenschaft zur Erziehungskunst, dies ist der angestrebte Weg der Ausbildungen am Rudolf Steiner Institut. Dem liegt ein weit gefasster Kunstbegriff zu Grunde. Der Künstler Johannes Stüttgen charakterisiert diesen in wunderbarer Weise so:
„In jedem Menschen lebt ein zweiter Mensch, der allerdings kaum wahrgenommen wird, weil er für das äußere Auge unsichtbar ist. Dieser zweite Mensch bleibt normalerweise klein, winzig, denn er bekommt zu wenig zu essen. In der Bibel steht: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Das ist keine fromme Redensart, sondern ein wissenschaftlich exakter, wenn auch versteckter Hinweis auf den zweiten Menschen. Da ergibt sich die Frage: „Wovon lebt er dann?“ Die Antwort: „Dieser zweite Mensch lebt von der Kunst.“
Von der Kunst soll er leben? Ja. Wer ganz still ist, hört den zweiten Menschen in sich schreien, weil er in großer Not ist. Ihm fehlt alles: die geistige Nahrung und die geistige Luft zum Atmen. Und die Methode, wie wir diese Luft und Nahrung an ihn heranbringen können, die nenne ich: Kunst! Hier wird unter „Kunst“ freilich etwas anderes verstanden als üblicherweise. Will man dahinter steigen, muss man die gewohnten Vorstellungen und Begriffe aus ihrer Verkrustung heraus sprengen.
Die Kunst, die ich meine (die der zweite Mensch zum Wachsen benötigt), ist im Moment noch für die meisten ebenso unsichtbar, wie der zweite Mensch selbst. Aber sie steckt als Fähigkeit in jedem. Nicht nur in ein paar Auserwählten! Es handelt sich dabei um die Freiheitsenergie. Dies ist eine Idee, die sich solange im Verborgenen entwickeln musste, bis sie für die Konfrontation mit der äußeren Welt stark genug geworden ist. Die Lage, in die wir uns in den letzten Jahrzehnten als Menschheit hinein manövriert haben, macht es nun erforderlich, dass diese Idee immer klarer in der Öffentlichkeit vertreten wird. Ein Gesichtspunkt ist dabei der Gedanke eines freien Schulwesens in Selbstverwaltung, aber auch der direkten Demokratie, die realisiert werden muss. Wer es genauer wissen will, wird weiter nach bohren.
Bloße Zukunftsmusik? Ja, das ist die Musik des „Zukunftsmenschen“. Die Verwirklichung der Freiheitsgestalt des sozialen Organismus auf allen Gebieten hängt von unserer Behutsamkeit und Ausdauer ab. Auch das hat etwas mit Kunst zu tun, Kunst hier verstanden nicht als Spezialbereich, sondern als alles umfassende Methode im Vorgehen der Neugestaltung des sozialen Lebens. Ein menschliches Prinzip, das statt Zwang den Freiheitsimpuls setzt, statt Dogmatismus und Fanatismus menschliche Wärme und Liebe. Kunst ist das, was uns von innen mit Energie versorgt, die wir brauchen, um die Verhältnisse selbst zu einem Gesamtkunstwerk zu gestalten: Die Soziale Plastik.
Soll die Welt also ein Kunstwerk werden oder verrotten?
Um diese Frage geht es.“
Bildungsanspruch
Durch die Bolognaerklärung der europäischen Minister und durch die Resultate der PISA-Studie ist in der deutschen Bildungsdiskussion länderübergreifend der Gedanke einer Akademisierung der ErzieherInnenausbildung entstanden. Ziel ist die europaweite Standardisierung der Ausbildungen und Studiengänge.
Im Rudolf Steiner Institut Kassel wird an der Frage gearbeitet, wie einer sinnvollen Akademisierung der Ausbildungsinhalte für Erzieherinnen und Erzieher Rechnung getragen werden und die Idee des lebenslangen Lernens auch in der Sozialpädagogik Einzug halten kann, ohne dadurch das praktische Wissen und die Paxiserfahrung der SeminaristInnen zugunsten einer einseitigen universitären Anbindung aufzugeben. Als interdiziplinär und praxisorientierte Fachschule für Sozialpädagogik verlören wir das Herz unserer Ausbildung und unsere SeminaristInnen die Möglichkeit, sich zu WaldorfpädagogInnen und ErziehungskünstlerInnen auszubilden, wenn wir dieser einseitigen Akademisierung keine Alternativen entgegen stellten.
Wir versuchen einen anderen Weg: Pädagogik als Kunst, Spiel und Arbeit. Kunst als Brot nicht nur als Dessert, als das elementarste Werkzeug von Pädagogik und folgerichtig der Ausbildungsformen und -inhalte von PädagogInnen.
Das freie kindliche Spiel als „die“ prägende Entwicklungsquelle der Kindheit. Welche Aufgaben erwachsen heute daraus für eine Pädagogik, die Kindern die Kindheit nicht rauben will, die Kindheit nicht nutzen will, die das Kind als Subjekt seiner Selbsterziehung anerkennt und nicht als Objekt seiner Sozialisierung betrachtet?
Die Arbeit mit Boden, Pflanze und Tier. Der in dieser „vollständigen Umgebung“ sinnvoll tätige erwachsene Mensch und das darin spielende Kind. Novalis nennt das: „Paedagogik“. Und weiter rät er uns in „Das Allgemeine Brouillon“: „Erziehung von Kindern, wie Bildung eines Lehrlings – nicht durch directe Erziehung – sondern durch allmäliches Theilnehmen lassen an Beschäftigung ect. der Erwachsenen.“
Mit dem Waldhof, unserem Demeter-Saatgutbetrieb, steht uns ein natürlich gewachsener und von Menschen gestalteter Naturraum in Form eines großen Landbaugartens zur Verfügung, der uns für die Entwicklung neuer, naturnaher Ausbildungsformen und -inhalten vielfältige Perspektiven eröffnet. Erste praktische Entwicklungsschritte bei der SozialassitentInnen- und ErzieherInnenausbildung sind wir schon gegangen. Die Erfahrungen bestätigen unseren Weg und geben uns Zuversicht mutig, nächste, weitergehende Schritte zu gehen.
Gegen Rassismus und Diskriminierung
Im Oktober 2007 verabschiedeten die deutschen Waldorfschulen die „Stuttgarter Erklärung“. Im November 2020 wurde die Erklärung in einer überarbeiteten Fassung neu verabschiedet. Sie stellt klar, dass die Waldorfschulen sich von jeder Form der Diskriminierung, also auch von jedweder ethnisch begründeten Form der Diskriminierung, distanzieren. Sie arbeiten auf der Grundlage der anthroposophisch erweiterten Menschenerkenntnis und beziehen aus ihr eine Fülle von Gesichtspunkten, die den Respekt vor der einzigartigen Individualität eines jeden Menschen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen.
Das Rudolf Steiner Institut schließt sich dieser Erklärung vollumfänglich an.
Hier die Stuttgarter Erklärung im Wortlaut:
Stuttgarter Erklärung
Waldorfschulen gegen Rassismus und Diskriminierung
- Die Freien Waldorfschulen leisten bei der Wahrnehmung ihrer erzieherischen Aufgabe im Geiste der Menschenrechte einen Beitrag für eine Gesellschaft, die auf dem solidarischen Zusammenleben aller Menschen beruht.
- Als Schulen ohne Auslese, Sonderung und Diskriminierung ihrer Schüler:innen sehen sie alle Menschen als frei und gleich an Würde und Rechten an, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Weltanschauung oder Religion.
- Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass das Gesamtwerk Rudolf Steiners vereinzelt Formulierungen enthält, die von einer rassistisch diskriminierenden Haltung der damaligen Zeit mitgeprägt sind. Die Waldorfschulen distanzieren sich von diesen Äußerungen ausdrücklich. Sie stehen im vollständigen Widerspruch zur Grundausrichtung der Waldorfpädagogik und zum modernen Bewusstseinswandel.
- Weder in der Praxis der Schulen noch in der Lehrer:innenausbildung werden rassistische oder diskriminierende Tendenzen geduldet. Die Freien Waldorfschulen verwahren sich ausdrücklich gegen jede rassistische oder nationalistische Vereinnahmung ihrer Pädagogik und von Rudolf Steiners Werk.
- Aus diesem Selbstverständnis arbeiten die Freien Waldorfschulen seit ihrer Gründung 1919. Waldorfpädagogische Einrichtungen engagieren sich heute weltweit in den unterschiedlichsten kulturellen, politischen, sozialen und religiösen Kontexten.
Verabschiedet von der Mitgliederversammlung des Bundes der Freien Waldorfschulen am 20. November 2020. Eine frühere Version der Erklärung wurde am 28. Oktober 2007 in Stuttgart verabschiedet.
Ansprechpartnerin:

Judit Simandi
Kontakt Sekretariat:
oder via E-Mail an info@steiner-institut.eu